Oberuferer Weihnachtsspiele
Hier noch einige Gedanken zu den Weihnachtsspielen:
In einem seiner ersten Vorträge über die Oberuferer Weihnachtsspiele machte Rudolf Steiner eine Bemerkung über unser Verhältnis zu Jesu Geburt und der Innigkeit und Tiefe, die noch im alten Volkstum diesem Geschehen gegenüber empfunden wurde:
„...es wirkt doch nicht alles harmonisch, wenn mitten durch die Alleen, in welchen die Weihnachtsbäume oder die sonstigen Vorbereitungen für das Weihnachtsfest aufgestellt sind, unsere Verkehrsmittel hindurch sausen. Und wenn der heutige Mensch die Disharmonie vielleicht nicht mehr voll empfindet, dann ist das aus dem Grunde, weil er sich schon zu sehr abgewöhnt hat, alle die Tiefe, die Innigkeit zu empfinden, die gerade mit dem bevorstehenden Feste verbunden sein kann. Was namentlich dem Städter von allem das menschliche Innere Vertiefende des Weihnachtsfestes geblieben ist, das ist doch im Grunde genommen nicht mehr, als ein letzter, die Größe kaum mehr ahnen lassender Nachklang, eine Gewohnheit, in der das Große nicht mehr wahrgenommen werden kann, an das sich im Laufe von Jahrhunderten die Menschheit gewöhnt hatte." Rudolf Steiner: „Das Weihnachtsfest im Wandel der Zeiten", Vortrag gehalten in Berlin am 22. 12. 1910, in: „Wege und Ziele des geistigen Menschen - Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft", Dornach 1992 (GA 125), S. 229
Die drei Spiele - das Paradeisspiel, das Christgeburtsspiel und das Dreikönigsspiel - stammen aus Oberufer, einer Gegend im westlichen Ungarn in der Nähe von Preßburg, wo sie im 16. Jahrhundert erstmals aufgezeichnet wurden. Die Spiele zeugen von einer langen Tradition. Denn schon bevor im Osten Europas im ausgehenden Mittelalter kolonisierende Schwaben neue Gemeinden gründeten, wurden diese Spiele regelmäßig zur Weihnachtszeit gespielt. Der Universitätslehrer und väterliche Freund Rudolf Steiners in Wien, Karl Julius Schroer, fand die Spiele in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf seinen Sprachforschungsreisen durch Europas Osten und bewahrte sie der deutschen Öffentlichkeit, indem er sie 1862 in Buchform herausgab. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die Spiele dann in Dornach bei Basel und später auch in der ersten Waldorfschule in Stuttgart jedes Jahr gespielt. Auch heute noch werden diese Spiele in den Waldorfschulen, den Zweigen der Anthroposophischen Gesellschaft und in der Christengemeinschaft regelmäßig zur Weihnachtszeit aufgeführt.
Obwohl die Spiele inhaltlich eng an die biblischen Texte von der Geburt Jesu angelehnt sind, fußen sie doch auch auf einer alten gnostischen Gesinnung, welche im Verlauf der Kirchengeschichte mehr und mehr aus dem verbindlichen Kanon hinausgedrängt wurde. In diesem Zusammenhang ist es vielleicht interessant zu beobachten, wie derzeit Bücher und Filme erscheinen, die sich vermehrt mit der Urchristenheit befassen und wie die Beschäftigung mit anderen Evangelien (Thomas-Evangelium, Magdalena-Evangelium u.a.) zunimmt, die nicht in der Bibel zu finden sind.
Vor allem im Christgeburtsspiel, dem zweiten der drei Spiele, geben sich humorvolle Derbheit und tiefe Frömmigkeit und Innigkeit ein Stelldichein. Das Spiel beschreibt die Geburt Jesu und ihre Verkündigung gegenüber den Hirten, wie sie im Lukas-Evangelium dargestellt wird. Die Hirten sind einfache Leute, die ihr Leben im Wesentlichen mit den Schafen auf dem Felde verbringen im Dienste ihrer Herren. Da die alte vorchristliche Hellsichtigkeit mehr und mehr abklingt, kann die Verkündigung nicht in der vollen Bewusstheit der Menschen stattfinden. Daher nutzt der Engel den Schlaf der Hirten, um die Nachricht von der Geburt des Herrn in die Seelen zu bringen. Die Hirten haben nun das innigste Herzensbedürfnis, dem von den alten Propheten längst angekündigten neuen König zu huldigen und ihm kleine Gaben mitzubringen.
Demgegenüber sehen wir die drei Wirte, die zunächst dem heiligen Paar keine Herberge zu bieten bereit sind, da sie zu der Zeit der großen römischen Volkszählung ihre Häuser lieber von gut zahlenden Gästen bewohnt sehen. Am ehrlichsten ist da noch der zweite, der sogenannte „grobe" Wirt, der klar sagt:
I kann von anderen laitn mehr han,
Als von dir du loser Bettelmann!
Der erste Wirt gibt dies noch nicht zu, obwohl er ja eigentlich ein Bekannter des Josef ist, und nur behauptet, dass sein Haus voll sei:
Mei freind, wo anders eng hiwendt,
B'setzt ist scho mei logament,
B'setzt all zimmer und gemach,
Sollichs glabt, wiar i eng in wohrheit såg."
Und der dritte Wirt, der sogenannte „gute" Wirt, der der heiligen Familie immerhin den Stall zur Verfügung stellt (so bekommt er auch noch etwas Geld von den Ärmsten) - er merkt nicht einmal, wie Josef ihm die Geburt des Herrn verkündet:
Herr Titus, uns ist heint a Kind geborn,
Wär uns in der nacht fast går erfrorn.
Drum seit gebeten låßt uns behend
Einsteign in enger logament.
Und so verwehrt er dem Josef den Einzug in die Herberge:
Woarli, enger bitt wollt gern plåtz gebn,
Es san nur iatzt zwa dutzend kumma ebn,
Die besitzen åll zimmer und leere stät,
Schaut, wo ihr mit dem Kind waiter eingeht.
In den Wirten also spiegelt sich unsere Wahrnehmung des Weihnachtsgeschehens als eines wirtschaftlichen Events unserer schnelllebigen Zeit, das es uns sehr schwer macht, der Geburt Jesu und damit der Geburt des Christentums angemessen zu gedenken.
Wer etwas von der ursprünglichen Frömmigkeit, die mit dem Geburtsgeschehen verbunden war, nacherleben möchte, dem seien die Weihnachtsgeschichten von Selma Lagerlöff empfohlen. Oder er besucht unser Christgeburtsspiel - und das Dreikönigsspiel. Die Aufführungszeiten stehen ganz oben.